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Über den Terminus "Agile Schulentwicklung"

„Agile Schulentwicklung“ ist (noch) kein etablierter Bestandteil einer erziehungswissenschaftlichen Nomenklatur oder gar ein empirisch erforschter Terminus (Huber, 2019, S. 16). Betrachtet man allerdings die Entwicklungswellen des Agilitätsbegriffs, so lässt sich dessen Verwendung zunächst systemtheoretisch klären und wissenschaftlich begründet auch zur Spezifizierung eines Schulentwicklungshandelns und -denkens rechtfertigen.

Talcott Parsons (1951) erörterte sein AGIL-Schema noch als Akronym für Adaption, Goal Attainment, Inclusion und Latency im Kontext seiner Systemtheorie von Organisationen Mitte des letzten Jahrhunderts.

 

Mit Blick auf den heutigen Sprachgebrauch können für die folgenden Jahre drei Entwicklungswellen eines Konzepts der Agilität unterschieden werden (Häusling & Fischer, 2016, S. 28): 

a)          Agile Manufacturing (1991 ff.; Optimierung von Produktionsabläufen), 
b)         Agile Software Development (2001 ff.; Agiles Manifest und zwölf Prinzipien) und 
c)           Agile Organisation (2010 ff.; Transformationskonzept). 

 

Agilität wird demnach seit beinahe 70 Jahren in Akzentuierungen divergent eingesetzt, erlebt aber durch gegenwärtige Megatrends in der Arbeitswelt eine immens hohe Beachtung in organisationstheoretischen Untersuchungen und insbesondere als pragmatisches Konzept für Change-Prozesse in Unternehmen. Dabei bleibt der Begriff in zahlreichen Publikationen unscharf und wird wohl auch deshalb und nicht nur aufgrund der hochfrequenten Nutzung als Modebegriff bzw. „buzzword“ (Majkovic, 2019, S. 11) relativiert.

 

Aus wissenschaftlicher Sicht bezeichnet Agilität die „Fähigkeit einer Organisation, sich kontinuierlich an ihre komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen“ (Goldman et al., 1995) und bei Veränderungen schnell und proaktiv unter dem Fokus der Kundenzufriedenheit zu (re-)agieren (Brown & Agnew, 1982; Förster & Wendler, 2012).

 

Für den schulischen Kontext ist m.E. eine attributive Verwendung der Agilität auf der Basis dieser kurz skizzierten Etymologie sachlogisch. Zudem ist sie durch die inhaltlichen Determinanten auch forschungsrelevant, zumal sie in den vergangenen zwei Jahren auch vermehrt in wissenschaftlichen Publikationen auftritt.

Insbesondere der aktuelle Bedeutungskontext von Agilität in Bezug auf Transformationskonzepte (siehe Punkt c) trifft die Bedürfnisse von Schulentwicklung inmitten dynamischer Veränderungen wie etwa Digitalisierung und Inklusion. Eine agile Schulentwicklung ist dabei eine Schulentwicklung, die kein geplantes Change-Management „über mehrere Jahre“ (Buhren & Rolff, S. 277) betreibt, sondern einen Change mit inkrementellen Zielen initiiert und iterativ unterstützt (Maximini, 2018, S.49-51).

Spezifisch agile Methoden wie etwa Design Thinking, Scrum oder Lean Startup prägen einen Kulturwandel in der Schulentwicklung (Hofert & Thonet, 2019; Schmidberger et al., 2019, S. 19-22), die mit linearen Herangehensweisen zunehmend Schwierigkeiten bekommt (Kaiser, 2019), die Zukunftsfähigkeit von Schule in der VUCA-Welt (Gerhardt, 2019; Puma 2020, S. 116) zu sichern. Schulen bzw. Schulleitende stehen vor der Aufgabe, ihre Organisation systemisch und systematisch so in Funktion zu setzen, dass relevante Einflüsse möglichst unmittelbar in erfolgreichen Transformationen münden.

Schulentwicklung muss vermehrt mit noch intransparenten Zielen umgehen, die sich durch hochfrequent auftretende äußere Einflüsse und wechselnde Anforderungen ergeben (Wippermann et al. 2020, S. 27) und ein „traditionell konformistisches Paradigma“ überwinden (Laloux, 2015, S. 22). Eine zentrale Rolle spielen hierbei Kooperationen in einem agilen Mindset der Partizipation, um Innovationen antizipativ und auch initiierend zu fördern.

 

„Agile Schulentwicklung“ arbeitet iterativ, inkrementell, transparent, partizipativ, kollaborativ, fokussiert, reflektiert und strukturiert (Schmitz, 2018). Mit ihr eigenen Methoden setzt sie m.E. (frei nach: „Agiles Manifest“, Sutherland et al., 2001) folgende Prämissen, ohne dabei die jeweils anderen Prinzipien (siehe auch: Rolff, 2007, S. 77) auszuschließen:

 

·      Individualisiertes und kollaboraatives Lernen vor Prozessen und Methoden
·      Kompetenzorientierter Lernerfolg vor Dokumentationen
·      Partizipation und Feedback vor Hierarchien
·      Flexible Adaption und kreative Gestaltung vor Planmäßigkeit und Verwaltung.

 

Dirk Philippi 2019

 

Literatur

 

Brown, J. & Agnew, N. (1982). Corporate Agility. Business Horizons. 1982 (25). S. 29-33.

Buhren, C.G. & Rolff, H.-G. (2018). Handbuch Schulentwicklung und Schulentwicklungsberatung. Weinheim 

und Basel: Beltz.

Förster, K. & Wendler, R. (2012). Theorien und Konzepte zu Agilität in Organisationen. Dresden. (Dresdner 

Beiträge zur Wirtschaftsinformatik, Nr. 63/12)

Gerhardt, C. (2020). Leben in der VUKA-Welt. In Gerhardt, C., Zeitlose Elemente der Führung. Psychologisch 

sicher führen im Wandel (S. 3-5) Wiesbaden: Springer.

Goldman, S., Nagel, R., Preiss, K., & Warnecke, H. (1995/1996). Agil im Wettbewerb: Die Strategie der 

virtuellen Organisation zum Nutzen des Kunden. Berlin, Heidelberg: Springer.

Häusling, A., & Fischer, S. (2016). Agilität – Trend oder Erfolgsmodell? . Wirtschaft & Weiterbildung (11/12), 

S. 28-31.

Häusling, A. & Rutz, B. (2017). Agile Führungsstrukturen und Führungskulturen zur Förderung der 

Selbstorganisation – Ausgestaltung und Herausforderungen. In von Au, C. (Hrsg.), Struktur und Kultur

einer Leadership-Organisation. Holistik, Wertschätzung, Vertrauen, Agilität und Lernen (S. 105-122). Wiesbaden: Springer.

Hofert, S. (2018). Das agile Mindset. Mitarbeiter entwickeln, Zukunft der Arbeit gestalten. Berlin: Springer Gabler.

Hofert, S. & Thonet, C. (2019). Der agile Kulturwandel. 33 Lösungen für Veränderungen in Organisationen.

Wiesbaden: Springer Gabler.

Huber, M. (2019).  Schule agil entwickeln – Mode oder Zukunft? PaedF – Pädagogische Führung. Zeitschrift 

für Schulleitung und Schulberatung. 2019 (05). S. 182-186.

Kaiser, H. (2019). Wie zukunftsfähig ist die Schule? PaedF - Pädagogische Führung. Zeitschrift

für Schulleitung und Schulberatung. 2019 (05). S. 161.

Laloux, F. (2015). Reinventing Organizations. Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der 

Zusammenarbeit. München: Vahlen. 

Majkovic, A.-L. (2019). IAP Studie 2019. Agile Arbeits- und Organisationsformen in der Schweiz. Ergebnisse 

der qualitativen Interviews. Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften – Institut für Angewandte Psychologie.

Maximini, D. (2018). Agile Leadership in Practice. Applying Management 3.0. Norderstedt: BoD.

Rolff, H.-G. (2007). Studien zu einer Theorie der Schulentwicklung. Weinheim und Basel: Beltz.

Parsons, T. (2005). The social system. London: Routledge.

Puma, J. U. (2020). Unternehmen erfolgreich transformieren. Erfolgsfaktoren kennen und eigene Stärken 

ausbauen. Stuttgart: Schäffer Poeschel.

Schmidberger, I. & Stricker, T. & Wippermann, S. (2019). Design Thinking in der Unterrichts- und 

Schulentwicklung. Handlungsfelder und Gestaltungsmöglichkeiten im Schulmanagement. b:sl. Beruf: Schulleitung. 2019 (01). S. 19-22.

Schmitz, A. (2018). Agiles Arbeiten – Worüber reden wir hier überhaupt? Fachtagung des ZWW der Universität 

Bielefeld. Zugriff am 28.02.2020 unter

 https://www.bgm-bielefeld.de/downloads/ws181115bgm31415.pdf

Sutherland, J. (2001). Manifest für Agile Softwareentwicklung. Zugriff am 29.02.2020 unter 

https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html

Wippermann, S. & Stricker, T. & Schmidberger (2020). Agiles Mindset – agile Schulentwicklung 

Konsequenzen für die Schulleitung. b:sl. Beruf: Schulleitung. 2020 (01). S. 27-29.

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